1A Anhang zu Grundzüge der filipinischen Syntax   (•• 1A)

{1A-101 }   Zitat Martin Luther

'Denn man mus nicht die buchstaben inn der Lateinischen sprachen fragen / wie man sol Deudsch reden / wie diese Esel thun / Sondern man mus die mutter ihm hause / die kinder auff der gassen / den gemeinen man auff dem marckt drümb fragen / und den selbigen auff das maul sehen / wie sie reden / und darnach dolmetschen / so verstehen sie es denn / und mercken / das man Deudsch mit ihn redet.'
Martin Luther: Sendbrief vom Dolmetschen (1530, nach der Ausgabe des Max Niemeyer Verlages, Halle, 1968).

Wenn wir dieses Zitat auf unsere Studien der filipinischen Sprache anpassen dürfen, können wir sagen:

"Man muss nicht die spanische oder englische Grammatik befragen, wie man Filipino reden soll. Sondern man muss die Mutter zu Hause, die Kinder auf der Straße und die einfachen Leute auf dem Markt fragen und muss ihnen auf den Mund sehen, wie sie reden. Danach muss man die Grammatik aufbauen, damit diese Menschen es verstehen und ihre eigene Sprache darin erkennen."

{1A-111 }   Philippinische Linguistik und fremde Sprachen

Ernesto Lopez wird als Vater der philippinischen Linguistik betrachtet. Alle seine Arbeiten sind in Englisch abgefasst (mit Ausnahme der wenigen in Deutsch und Französisch), und häufig ist sein Hauptaugenmerk darauf gerichtet, welche Entsprechungen filipinische Gebilde im Englischen besitzen (viele Beispiele in { Lopez 1941}). Beispielsätze sind nahezu regelmäßig im westlichen Stil abgefasst.


{1A-112}   Muttersprache

Ein geeigneter Begriff für Muttersprache ('mother tongue') ist in den Philippinen wenig gebräuchlich; wir übernehmen von {W Salazar 1.1.17} den Ausdruck wikang kinagisnạn ('Sprache, in der man aufgewachsen ist'). Häufig werden Begriffe wie katutubong wika ('einheimische Sprache') verwendet. Das Wort katutubo wird im Allgemeinen mit sinauna 'aus der Urzeit' und makaluma 'altmodisch' assoziert, hat also in der Regel eine negative Wertung. Damit wird die besondere Funktion der Muttersprache in der persönlichen Entwicklung nicht gesehen.

Für den Begriff 'Sprachgefühl' ('speech-feeling' bei { Bloomfield 1917 § 332}) verwenden wir eine wörtliche Übersetzung pakiramdạm-wika F, während sich bei { Lopez 1941 p. 94}) das deutsche Wort 'Sprachgefühl' findet. In der modernen Linguistik urteilt der Muttersprachler mit seinem Sprachgefühl über die Grammatikalität.


{1A-121}   Gegenwartssprache in den Philippinen

Die Sprache im philippinischen Alltag ist ein kompliziertes und wenig erforschtes Thema. In der Regel findet man (zu) viel Information über die verschiedenen Sprachen und Dialekte, aber wenig über den Gebrauch der Landessprache. Um dieses Problem zu umgehen, wollen wir zwischenzeitlich einen Begriff Kayumanggi (Kayumanggị ist ein einheimisches Wort, das Hautfarbe und Rasse der Filipinos beschreibt) einführen, der bedeuten soll "die offizielle Hochsprache oder eine andere Sprache bzw. ein Dialekt philippinischen Ursprunges". Kayumanggi ist also eine Abgrenzug gegenüber Englisch, Chinesisch, Spanisch usw.

Wer als Besucher in die Philippinen kommt, sieht ein englischsprachiges Land vor sich. Im Hotel gibt es englischsprachige Zeitungen. Speisekarten und auch die Hotelrechnung sind in Englisch. Im Supermarkt und in anderen Geschäften findet man alle Produkte mit englischen Beschriftungen. Betritt man eine Buchhandlung, wird man fast nur englischsprachige Bücher finden. Englisch ist die geschriebene Amts- und Handelssprache. Gesetze, Steuererklärungen, Verträge und Geschäftskorrespondenz sind in Englisch. Man sieht also nur Englisch.

Anders wird das Bild, wenn man Filipinos zuhört. Zunächst versucht jeder Filipino, zu einem Ausländer Englisch zu sprechen. Im großstädtischen Bereich ist häufig sein Englisch ausgezeichnet. In weit abgelegen Provinzen können sich die Englischkenntnisse auf ein paar einfache Sätze beschränken. Insofern ist der häufig gehörte Satz richtig "In den Philippinen spricht jeder Englisch".

Wie sprechen die Filipinos untereinander? Zu Hause wird in beinahe allen Familien ein Kayumanggi gesprochen, zu erwähnen sind noch chinesischsprechende Familien chinesischer Abkunft (es gibt auch chinesischsprachige Zeitungen). Der Verfasser schätzt, dass in weniger als einem Prozent der philippinischen Familien (beide Elternteile gebürtige Filipinos) am Familientisch Englisch gesprochen wird. Das bedeutet, das auch heute noch für mehr als 95 Prozent der Filipinos Englisch nicht die Muttersprache ist. Es ist auch der Satz richtig "In den Philippinen spricht fast niemand Englisch".

Geht man in verschiedene Grundschulen, zeigt sich ein differenziertes Bild. Privatschulen (etwa die Hälfte der Kinder gehen auf private Schulen) haben nahezu ausschließlich englische Schulnamen, bei staatlichen Schulen ist etwa gleich häufig Paaralang elementarya und Elementary School zu lesen. Man wird fast nur englischsprachige Schulbücher finden und auch im Schulsekretariat wird Englisch geschrieben und gelesen. In den Klassenzimmern wird man häufig die Situation antreffen, dass der Lehrer eine Rechenaufgabe, die in Englisch im Buch steht, zunächst in Englisch erklärt und bei Unverständnis in der Schülerschaft – und das kommt häufig vor – das Ganze in einem Kayumanggi wiederholt. Das ist zwar "illegal", aber oft pädagogisch erfolgreich. In den Schulpausen ist es unterschiedlich. In den Dorfschulen hört man dann kein Wort Englisch mehr. In besseren Privatschulen wird das magtagalog 'sich in Tagalog unterhalten' im Schulhof bestraft.

Wenn man in ein Büro oder zu einer Behörde geht, sieht man auf den Schreibtischen wieder nur englischsprachige Papiere. Vom Umgang mit Ausländern abgesehen, kann man ein interessantes Sprechverhalten feststellen. Die englischsprachigen Papiere werden in Englisch gelesen. Je weiter man sich vom Papier entfernt, desto weniger Englisch und desto mehr Kayumanggi hört man. Nun folgen die englische und die Kayumanggi-Grammatik beim Satzbau völlig verschiedenen Gesetzen. Es gibt also einen Umkipppunkt im Gespräch. Erst werden Kayumanggi-Wörter in englisch konstruierte Sätze eingefügt, und dann plötzlich englische Wörter in Kayumanggi-Sätzen verwendet. Dabei werden die Kayumanggi-Flexionsregeln korrekt auf die englischen Wörter angewandt (Itetẹks kitạ.'Ich werde dir/Ihnen eine Kurznachricht senden.'). In den Philippinen ist Englisch also die geschriebene Handelssprache und nur sehr selten die gesprochene Handelssprache.

Nach diesen Beobachtungen aus dem täglichen Leben wird deutlich, dass Kayumanggi vorwiegend eine gesprochene und viel weniger eine geschriebene Sprache ist. Naturgemäß ist die gesprochene Sprache weniger formalisiert als die geschriebene Sprache. Verstärkt wird dieser Effekt, dass die meisten Sprecher keinen regelmäßigen Zugang zu geschriebener Sprache haben und daher eine Korrektur der gesprochenen Sprache durch Geschriebenes nicht stattfinden kann. Andererseits wird kein Abgleich zwischen offiziellen oder akademischen Dokumenten und dem täglichen Leben erzwungen, da diese sich nicht berühren und nicht aneinander "reiben" können.

Das meiste geschriebene Kayumanggi wird in einer englischsprachigen Umgebung verfasst. Es kann sein, dass es sich direkt um Übersetzungen aus dem Englischen handelt (so ist vermutlich der filipinische Verfassungstext eine Übersetzung aus dem englischen Original) oder dass zumindest der Schreiber durch die englische Sprache – bewusst oder unbewusst – beeinflusst ist. Wenn ich in Deutschland kein einziges deutsches Buch und nur englische Bücher in meinem Haus oder Büro habe, und ich fange an, einen deutschen Text zu verfassen, so wird der vermutlich etwas anglisiert sein. Ähnliches geschieht nun täglich in den Philippinen, das geschriebene Kayumanggi ist häufig anglisiert, und der Leser liest anglisiertes Kayumanggi und wird im Falle einer Antwort weiter anglisieren.


{1A-151 }   Verwendung fremdsprachiger Fachausdrücke in der philippinischen Linguistik

(1) In der philippinischen Linguistik besteht keine einheitliche Aufffassung, wie fremdsprachige Fachausdrücke {*} in die filipinischen Sprache eingepasst werden. Die Mehrzahl der ausländischen Fachausdrücke hat seinen Ursprung in der altgriechischen und lateinischen Sprache. Die europäischen Sprachen gehen bei der Eingliederung in der Regel vom griechischen oder lateinischen Original aus. In den Philippinen wird die spanische oder englische Ableitung zugrunde gelegt. Dies erzeugt eine Anzahl von Problemen, die unterschiedlich gelöst werden. Auf Schwierigkeiten stößt vor allem, dass in der englischen Sprache das orthografische Wortbild von griechischen oder lateinischen Lehnwörtern weitgehend dem der Ursprungssprache entspricht, während diese Wörter phonologisch stark verändert werden.

{*}   In den Philippinen kann der Begriff fremdsprachige Fachausdrücke nahezu gleichgesetzt werden mit englische Fachausdrücke, da andere Sprachen nicht in Betracht gezogen werden.

(2) Eine Methode (Beispiel { Aganan 1999}) behält die englische Ableitung orthografisch unverändert bei und unterstellt, dass der Leser so viel Englisch kann, dass er die englischen Wörter richtig ausspricht. Dabei werden die englischen Wörter wortartspezifisch übernommen (neben 'verb' das Adjektiv 'verbal' und nicht pangverb). Ein großer Vorteil dieser Methode ist, dass bei internationaler Kommunikation die englischen Wörter deutlich erkennbar bleiben. Der scheinbare Nachteil dieser Methode ist, dass diese englischen Wörter sichtbar Fremdwörter in der filipinischen Sprache bleiben.

(3) Die Mehrzahl der philippinischen Autoren (Beispiel { Paz 2003}) wendet jedoch Methoden an, die englischen Ableitungen in englischer Phonologie beizubehalten und an die filipinische Orthografie anzupassen, um das filipinische Prinzip von Gleichheit von Aussprache und Schreibweise beizubehalten. Dabei treten erhebliche Probleme auf. Zunächst besitzt die filipinische Orthografie nur unzureichende Mittel, um dies zufriedenstellend zu ermöglichen (Beispiele sind <agriment>, <vawel>, <titser>). Des weiteren ist die englische Aussprache keineswegs so eindeutig, dass sich daraus ein eindeutiges filipinisches Schriftbild ableiten ließe (Beispiel Englisch 'enclitic' wird zu Filipino <inklitik>, <enklitik> oder <ingklitik>). Häufig werden noch Anpassungen an die alte Tagalog-Phonologie vorgenommen (Beispiel: Ersatz des Lautes [ f ] <f> oder <ph> durch [ p ] <p> in <diptong>). In der Regel werden die Wörter als wortartfreie Wurzeln importiert, so dass auf sie die filipinische Affigierung angewandt wird (Beispiel: pagkaklasifay). Durch diese Methode entstehen also Wörter, die nicht mehr englisch sind, aber nur schwer in das filipinische Laut- und Schriftbild passen. Ob mit dieser Methode eine gute Verständlichkeit innerhalb der filipinischen Sprache hergestellt werden kann, ist schwer festzustellen. Deutlich ist, dass die Verbindung zum englischen Schriftbild und zur englischen Aussprache weitgehend verloren gehen kann (Beispiele: Englisches 'clause' [klɔ:z] wird zu <klos> mit vermutlicher filipinischer Aussprache [klɔs]; 'vowel' ['vaʊəl] wird zu <vawel> mit vermutlich ['fa:.vɛl]; richtiger (aber trotzdem nicht richtig) wäre wohl <vaw-el> ['faʊ.ʔɛl]).

Einige Autoren haben die Probleme offenbar erkannt und sie über den Umweg der spanischen Sprache zu lösen versucht. Dabei gehen sie davon aus, dass spanische Orthografie und Phonologie besser zur filipinischen Sprache passen als die des Englischen. So kann man neben fonoloji auch ponolohiya finden.

(4) Wir haben keine Ansätze des naheliegenden Weges gefunden, die altgriechischen oder lateinischen Wörter direkt an die filipinische Sprache anzupassen (Beispiel: Vom griechischen φωνή [fo'nɛ] könnten palafonehan, pangfone abgeleitet werden).


{1A-201}   Bezeichnungen für Funktionsphrasen

(1) Neben Prädikat und Subjekt betrachten wir vier weitere Funktionsphrasen, die sich durch ihre Bestimmungswörter unterscheiden. Dieser Ansatz erfordert vier verschiedene (neue) Namen für diese Phrasen.

(2) Neue Bezeichnungen Objunkt und pantuwịd führen wir für die NG-Phrase ein. Mit der Verwendung des Stammes tuwịd wird eine Verbindung zu dem in der Literatur verwendeten Begriff layon na tuwiran 'direktes Objekt' geschaffen.

(3) Unsere Bezeichnungen für die SA-Phrase sind Adjunkt und pandako. Der Stamm dako ist ein Substantiv 'Richtung'. So soll sich in diesem Namen widerspiegeln, dass eine SA-Phrase eine räumliche oder zeitliche Richtung angibt oder dies im übertragenen Sinn tut (Empfänger).

(4) Durch die Ligatur wird eine Stufe, also eine Über- und Unterordnung angezeigt. Deshalb haben wir den Namen Subjunkt und panlapạg gewählt. Der Stamm lapạg bezeichnet 'eine oder mehrerere übereinanderliegenden Ebenen, Stockwerke'.

(5) NANG-Phrasen stehen selbständig im Satz, sie besitzen keine syntaktische Verbindung zu einer anderen Phrase und werden häufig ohne Bestimmungswort verwendet. Ihr Bestimmungswort nang dient vorwiegend der Abgrenzung von anderen Phrasen. Daher sind für uns die Bezeichnungen Disjunkt und pang-umpọg passend für diese Phrasen. Der Stamm umpọg beschreibt den 'den Zusammenstoß zweier harter Gegenstände'.

Diese Begriffe sind gleichermaßen für unabhängige Phrasen, Attribute von Nomina und für Argumente von Verben geeignet.

Zuordnung von Phrasen in der Literatur{1A-611 }.


Die filipinische Sprache von Armin Möller
http://www.germanlipa.de/filipino/sy_ugnay_1A.html
25. November 2009 / 06. Oktober 2018

Syntax der filipinischen Sprache
Ende 1A Anhang zu Grundzüge (Datei 1A/1)

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